Die eigene Freiheit entdecken

Sie kennen sicherlich das Gefühl, dass Sie aus dem Affekt reagieren, ohne wirklich darüber nachzudenken. Das kann eine unbedachte Bemerkung sein, eine voreilige Hilfestellung oder auch ein Wutausbruch. In diesen Momenten haben wir das Gefühl, dass es einfach so aus uns rausplatzt, dass wir da nichts gegen tun können.

Die gute Nachricht ist: wir können sehr wohl etwas tun und das ist auch gar nicht so schwer. Wir müssen uns nur klar machen, was in diesen Situationen passiert. Und hier kommt auch schon der Hund ins Spiel:

Im Jahre 1905 führte ein Mann namens Iwan Petrowitsch Pawlow ein Experiment durch. Es gilt bis heute als eines der ersten und einflussreichsten Experimente zur klassischen Konditionierung. Er wollte zeigen, dass unsere Reaktionen auf Verknüpfungen beruhen.

Für das Experiment gab er zunächst einem Hund etwas zu fressen. Natürlich hatte der Hund sofort Speichelfluss. Der Hund zeigte also auf den Reiz (das Futter) eine natürliche Reaktion (den Speichelfluss). Als nächsten Schritt klingelte er immer erst mit einer Glocke (neutraler Reiz) und gab erst danach das Futter.

Schon nach wenigen Durchgängen reichte das Klingeln aus, dass der Hund Speichelfluss hatte. Der Hund war also auf einen neutralen Reiz konditioniert. In der Erwartung, dass bald das Futter kommt, reichte die Klingel schon für die Reaktion aus.

Aber was hat das alles nun mit unseren Reaktionen zu tun? Letztendlich ist es bei uns genauso. Ein normaler/neutraler Reiz (das kann eine Aussage oder das Verhalten einer anderen Person sein, eine Situation oder auch ein eigener Gedanke sein) löst bei uns direkt eine Reaktion aus. Diese passiert oftmals unbewusst. Der Grund dafür ist, dass der Reiz unbewusst bei uns Verknüpfungen wachruft. Das können vergangene Erfahrungen, Werte und Verletzungen sein. Wir reagieren also in diesen Momenten eigentlich gar nicht auf den neutralen Reiz (die Aussage, das Verhalten, den Gedanken), sondern wir reagieren auf unsere Verknüpfung.

Also was tun? Machen Sie sich klar, dass Sie die Wahl haben. Bei jeder Reaktion ist die kognitive Abfolge:

Wahrnehmung des Reizes – (emotionale) Bewertung aufgrund unserer Verknüpfungen – Reaktion

Und genau da, zwischen dem Reiz und der Reaktion entsteht unsere Freiheit. In der Realität läuft das alles so schnell ab, dass wir es oft gar nicht bemerken.

Daher gilt es: einmal alles bitte mal in Zeitlupe betrachten.

Übung:

1. Schritt: Am Anfang kann es schwer und ungewohnt sein diese Abfolge zu sehen. Denken Sie daher im ersten Schritt mal an eine Situation in der letzten Zeit, in der Sie gerne anders reagiert hätten. Überlegen sie mal: was war der Reiz, also der Auslöser? Welche Verknüpfungen (Gedanken, Gefühle, Erinnerungen) hat dieser Reiz bei mir ausgelöst? Was war meine Bewertung? Und wie habe ich reagiert?

2. Schritt: Wie möchte ich zukünftig stattdessen reagieren? Welche Verknüpfung wäre in dem Moment hilfreich gewesen? Woran könnte ich bei dem Reiz stattdessen denken um meinem Wunsch entsprechend reagieren zu können?

3. Wie kann ich sicherstellen, dass ich bei diesem Reiz an die Verknüpfung denke?

4. Jetzt geht es ans Eingemachte: üben Sie in Situationen im Alltag sich den Reiz und die Verknüpfungen bewusst zu machen bevor Sie reagieren. Also tief durchatmen und kurz überlegen. Oft hilft dabei auch die Frage: Was fühle ich (bei dieser Aussage, bei dem Gedanken,…)? Indem sie den Blick auf die Verknüpfungen lenken, vergrößern Sie den Raum zwischen Reiz und Reaktion, jedes Mal ein bisschen mehr. Und je mehr Raum sie haben, desto größer wird Ihre Entscheidungsfreiheit werden.

Bereits der persische Dichter Rumi (1207-1273) entdeckte diesen Raum für sich:

„Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum: Nur dort kann Begegnung stattfinden.
Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum: Nur dort findet Heilung und Entwicklung statt.“

Was sind Ihre Erfahrungen damit? Schreiben Sie mir gerne, ich bin gespannt auf Ihre Berichte!